Andere Bezeichnungen: harmoniefremde Töne, Nebennoten, Nebentöne, Hilfstöne, melodische Spannungstöne, Figuration der Melodie (Hugo Riemann)
1 Die zu einer Tonleiter gehörigen Töne heißen Haupttöne.
2 Nebentöne sind Töne, die im Abstand einer großen oder kleinen Sekunde über oder unter einem Hauptton stehen.
Nach dem Abstand ist zu unterscheiden:
Nach der Lage in Bezug zum Hauptton wird unterschieden in:
Zu unterscheiden sind ferner:
Welche Töne als diatonische oder chromatische Nebentöne gelten, hängt von der Tonleiter ab.
3 Jeder Hauptton hat mithin vier Nebentöne: je einen oberen und unteren diatonischen, sowie je einen oberen und unteren chromatischen Nebenton.
In Bsp. 9.1.-1 und 9.1.-2 sind die Haupttöne der Dur- und der natürlichen Moll-Tonleiter mit offenen, die chromatischen Nebentöne mit geschlossenen Notenköpfen dargestellt. Durchgehende Pfeile weisen auf diatonische, gestrichelte Pfeile auf chromatische Nebentöne.
Bsp. 9.1.-1: Nebentöne in Dur
Je nachdem welche Töne als leitereigen in Moll angesehen werden, ergeben sich unterschiedliche Deutungen für diatonische und chromatische Nebentöne. In Bsp. 9.1.-2 wird das natürliche Moll betrachtet.
Bsp. 9.1.-2: Nebentöne im natürlichen Moll
4 Nebentöne sind unter melodischen Aspekten keine Dissonanzen. Höchstens die Sanglichkeit kann bei bestimmen Arten von chromatischen Nebentönen beeinträchtigt sein (z.B. angesprungene Nebentöne). Nebentöne dienen zunächst der melodischen Figuration.
5 In der Mehrstimmigkeit werden Nebentöne zu Dissonanzen (oder wenigstens Auffassungsdissonanzen), da sie mit den übrigen Akkordtönen in Beziehung stehen. Sie gewinnen dadurch unter Umständen erhebliche harmonische Bedeutung (dies gilt vor allem für Vorhalte).
6 Werden die zu einem Dreiklang gehörenden Töne als Haupttöne angesehen, gibt es zu ihnen ebenfalls jeweils vier Nebentöne, die als akkordfremde Töne bezeichnet werden.
Nur Dreiklangstöne haben die Eigenschaft Hauptton zu sein. Jede Erweiterung (z.B. um charakteristische Dissonanzen oder Überterzen) fügt dem Dreiklang Töne hinzu, die bereits Nebentöne der Dreiklangstöne sind. Deren Nebentöne sind wiederum die Haupttöne. Dieser Sachverhalt hat überhaupt erst zu einer Harmonik geführt, die über die Verwendung von Dreiklängen hinaus geht.
7 Akkordfremde Töne (Nebentöne) sind eine große oder kleine Sekunde vom akkordeigenen Ton (Hauptton) entfernt.
In Bsp. 9.1.-3 und 9.1.-4 sind die Haupttöne der Tonika in Dur, bzw. Moll mit Ganzen Noten, die diatonischen Nebentöne mit Halben Notenköpfen und die chromatischen Nebentöne mit Viertel Notenköpfen dargestellt. Durchgehende Pfeile weisen auf diatonische, gestrichelte Pfeile auf chromatische Nebentöne.
Bsp. 9.1.-3: Nebentöne des Tonika-Dreiklangs in C-Dur
Bsp. 9.1.-4: Nebentöne des Tonika-Dreiklangs in c-Moll
8 Akkordfremde Töne vertreten akkordeige Töne und wirken sowohl harmonisch als auch melodisch.
Sie lassen sich nach ihrer metrischen Stellung unterscheiden in:
Sonderfall akkordfremder Töne sind liegende Stimme bzw. Orgelpunkt (liegende Stimme im Bass). Dabei handelt es sich um lange erklingende Töne in einer oder mehreren Stimmen. In den übrigen Stimmen wechseln die Akkorde, zu denen der Ton einer liegenden Stimme akkordfremd sein kann. Das harmonische Geschehen spielt sich unabhängig von liegenden Stimmen ab, weshalb sie bei einer harmonischen Analyse nur bedingt oder gar nicht berücksichtigt werden.
9 Zu weiteren Unterscheidung der Arten unbetonter akkordfremder Töne ist neben dem betonten Hauptton (HT) und dem unbetonten Nebenton (NT) der Zielton (ZT, metrische Stellung: unbetont oder betont), in den der Nebenton geführt wird, von Bedeutung.
HT = ZT: Wechselton
HT ≠ ZT: Durchgang, Nebenton oder Vorausnahme
NT = ZT: Vorausnahme
Im zweiten und dritten Fall ist außerdem zu beachten, ob der Nebenton schrittweise (↑) oder im Sprung (⇑) erreicht oder verlassen wird.
HT ↑ NT ↑ ZT: Durchgang
HT ↑ NT ⇑ ZT: abspringender Nebenton
HT ⇑ NT ↑ ZT: angesprungener Nebenton
HT ⇑ NT ⇑ ZT: an- und abspringender Nebenton
HT ↑ NT – ZT: Vorausnahme
HT ⇑ NT – ZT: angesprungene Vorausnahme
Bei betonten akkordfremden Tönen fallen Hauptton und Zielton zusammen. Hier ist der Vorgängerton (VT), der vor der HT erklingt von Bedeutung:
VT = NT: vorbereiteter Vorhalt
VT ≠ NT: unvorbereiteter Vorhalt
Andere Bezeichnungen: Retardation, Suspension
1 Gleichzeitig mit dem Akkord eintretende (und daher relativ betonte) Nebentöne werden (fast immer) als Vorhalt angesehen und entsprechend behandelt. Alle Haupttöne eines Dreiklangs können sowohl von oberen als auch von unteren (meist diatonischen) Nebentönen in allen Stimmen vorgehalten werden. Der Nebenton ist Vorhalt, der Hauptton ist der Auflösungston.
Vorgehalten ist der Nebenton, vorenthalten der Hauptton.
2 Nach der Lage des Vorhalts in Bezug zum zugehörigen Hauptton wird unterschieden:
3 Je nach Abstand zum Hauptton ist zu unterscheiden:
4 Zu unterscheiden sind ferner:
5 Je nach dem Vorkommen des Vorhaltstons im vorhergehenden Akkord, wird unterschieden in:
Bsp. 9.2.-1: Quart-Vorhalt der Dominante
(a) vorbereitet – (b) unverbreitet – (c) halbvorbereitet
6 Die Wirkung von Vorhalten beruht auf:
7 Bei den durch Vorhalte entstehenden Dissonanzen sind zu unterscheiden:
8 Unter Umständen kann auch ein Hauptton (betont) dem ein Nebenton (unbetont) folgt wie ein Vorhalt wirken. Dieses Phänomen ist bei mehreren aufeinander folgenden Vorhaltsbildungen zu beobachten. In Analogie zum „harten Durchgang“ (→ 9.3.) bietet sich die Bezeichnung weicher Vorhalt an.
Bsp. 9.2.-2a zeigt eine Folge von Funktionen, die jeweils einen Vorhalt aufweisen. In Takt 3 ist der Vorhalt jedoch S5, also kein Nebenton. Der Auflösungston ist S6, also Nebenton und nicht, wie bei Vorhalten Hauptton. Es könnte es sich also um einen Typ der unbetonten Nebentöne handeln. Aber es handelt sich weder um einen Wechselton (dann müsste der Sopran in Takt 4 zum c zurückkehren), noch um eine der Arten von Nebentönen, denn das S6 wird nicht angesprungen und auch nicht im Sprung verlassen. Auch der Durchgang kommt nicht in Frage; dann müsste in Takt 4 im Sopran ein e stehen. Diesen Verlauf zeigt Bsp. 9.2.-2b. Bliebe noch die Deutung als Vorausnahme, die jedoch weniger überzeugend ist, da bereits zwei ähnliche Vorhalte vorausgegangen sind.
Bsp. 9.2.-2: (a) weicher Vorhalt – (b) Durchgang
9 Die Fortsetzung nach dem Vorhalt bestimmt die Art der Auflösung. Zu unterscheiden sind reguläre und irreguläre Auflösung.
reguläre Auflösung:
irreguläre Auflösung:
Von Auflösung kann nur die Rede sein, wenn der Vorhalt zu seinem zugehörigen (unalterierten) Hauptton geführt wird. „Irreguläre Auflösung“ scheint also ein Widerspruch in sich selbst zu sein. Gemeint ist hier aber die Behandlung eines Vorhalts allgemein, unabhängig von seiner Beziehung zu einem Hauptton.
10 Normalerweise erfolgt die Auflösung des Vorhalts in den Hauptton während der Dauer der Funktion. Bei der Vorhaltsauflösung kann jedoch auch ein Funktionswechsel stattfinden (Bsp. 9.2.-3e-h).
11 Irreguläre Auflösung mit gleichzeitigem Funktionswechsel führt zu einem erstarrten Vorhalt (Bsp. 9.2.-3e-h).
Auch reguläre Auflösung mit gleichzeitigem Funktionswechsel kann als erstarrter Vorhalt angesehen werden
(Bsp. 9.2.-3e).
Bsp. 9.2.-3: Vorhaltsauflösung
(a) direkt – (b) stellvertretend – (c) verzögert – (d) direkt alteriert – (e) direkt mit Funktionswechsel
(f) entgegengesetzt mit Funktionswechsel – (g) abspringend – (h) erstarrter Vorhalt
Bsp. 9.2.-4 zeigt Möglichkeiten für verzögerte Vorhaltauflösung am Beispiel des 9/8-Vorhalts der T, (a) – (d) mit einem eingeschobenen Ton, (e) – (g) mit zwei eingeschobenen Tönen
(a) zwischen 9-Vorhalt und Auflösungston ist mit der angesprungenen 7+ auf relativ betonter Taktzeit ein weiterer Vorhalt eingeschoben
(b) auf relativ unbetonter Taktzeit ist die 7+ angesprungener Nebenton
(c) die eingeschobene 3 ist in Bezug auf den Vorhalt dessen (abspringender) Nebenton; da die 9 auch als unechter 2/3-Vorhalt verstanden werden kann, erfolgt zunächst eine entgegengesetzte Auflösung
(d) die eingeschobene 5 ist nicht an- und abspringender Nebenton, da die 5 ein akkordeigener Ton ist
(e) der Vorhaltston wird durch dessen oberen Nebenton im Sinne eines Wechseltons figuriert
(f) die Auflösung erfolgt direkt, wird aber sogleich von einem Wechselton figuriert
(g) Kombination aus (c) und (b)
Bsp. 9.2.-4: Beispiele für verzögerte Vorhaltauflösung
12 Zwei Regeln für den strengen Satz:
Ausnahmen:
Non-Vorhalte wirken nur als solche, wenn das Intervall zwischen Vorhalt und einem darunter liegenden tatsächlich eine None ist (Bsp. 9.2.-5a). Das bedeutet aber, dass der Auflösungston zusammen mit dem Vorhalt erscheinen muss (unechter Vorhalt).
Nach den Regeln des Kontrapunktes können Vorhalte nur in der oberen von zwei Stimmen auftreten, außer dem Sekund-Vorhalt. Dieser wird von der Unterstimme in die Terz aufgelöst (Bsp. 9.2.-452). Ein Sekund-Vorhalt, der wie ein Non-Vorhalt aufgelöst wird (Bsp. 9.2.-5b1), findet sich jedoch in der Literatur häufig (Bsp. 9.2.-6: Palestrina, Lauda Sion).
In homophoner Musik werden Sekund-Vorhalte meist aufwärts aufgelöst (Bsp. 9.2.-5b3).
Bsp. 9.2.-5: (a) Non-Vorhalt – (b) Sekund-Vorhalte
Bsp. 9.2.-6: Sekund-Vorhalte bei Palestrina (Lauda Sion)
Bei oberen großen Vorhalten kann der Auflösungston gleichzeitig erklingen; am günstigsten wirkt dabei, wenn der Abstand zum Hauptton eine große None (Bsp. 9.2.-7a1) und nicht eine große Sekunde (Bsp. 9.2.-7a2) beträgt. Der kleine obere Vorhalt ist als unechter Vorhalt erheblich dissonanter. Im Abstand der kleinen None zum Auflösungston (Bsp. 9.2.-7b1) ist die Wirkung nicht so extrem, wie bei unmittelbarer Nachbarschaft der kleinen Sekunde (Bsp. 9.2.-7b2).
Bsp. 9.2.-7: unechte Vorhalte: Vorhalt und Auflösung gleichzeitig
Anmerkung zu den folgenden Beispielen: unmittelbar unter dem unteren System steht die Generalbassbezifferung, die aufschlussreich für das Verständnis der Entstehung von Vorhalten ist; darunter stehen Funktionsbezeichnungen, eventuell gefolgt von alternativen funktionellen Deutungen.
13 Welches der zu einem echten Vorhalt gehörige Hauptton ist, ergibt sich meist aus dessen Fehlen im Akkord.
Bsp. 9.2.-8 zeigt Fälle, in denen der gleiche Ton entweder oberer oder unterer Vorhalt ist:
eindeutig sind Quart-Terz- (Bsp. 9.2.-8a1), Quart-Quint- (Bsp. 9.2.-8a2) und Sekund-Terz-Vorhalt (Bsp. 9.2.-8b2), da der Hauptton vorenthalten ist.
Der dem Generalbass gemäß bezifferte Sept-Vorhalt in Bsp. 9.2.-8c2 erweist sich als Non-Oktav-Vorhalt.
Der Non-Vorhalt (Bsp. 9.2.-8b1) könnte als unechter Vorhalt auch zur Terz aufgelöst werden (großer unterer Vorhalt).
Der Sept-Vorhalt (Bsp. 9.2.-8c1) ist hier unechter Vorhalt der Oktav, könnte aber auch zur Sexte aufgelöst werden (also in einen Quintsextakkord, was den Akkord subdominantisieren würde und wäre somit unechter Vorhalt).
Die Auflösung des Sext-Vorhalts in Bsp. 9.2.-8d1 und d2 ist in beide Richtungen möglich. Die Auflösung abwärts in die Quinte ist aber wahrscheinlicher, da untere Vorhalte seltener sind.
Bsp. 9.2.-8: gleiche Note als Vorhalt verschiedener Haupttöne
14 Die durch Vorhalte veränderten Akkorde heißen Vorhaltakkorde. Sie sind entweder identisch mit Akkordtypen ohne Vorhalt oder es entstehen Akkordtypen, die dem Prinzip der Terzschichtung nicht entsprechen.
15 Vorhalte können die Funktion eines Akkordes verstärken, aber auch trüben. Vorhaltakkorde sind jedoch keine eigenständige Funktion. Je mehr Vorhalte ein Akkord enthält, umso stärker wird seine Funktion verschleiert.
Selbst wenn alle Akkordtöne vorenthalten werden, entsteht daraus nicht die Funktion „Vorhaltakkord“, „freie Leittonstellung“, „Nebennotenakkord“ oder dergleichen (für die mancher Autor sogar Funktionssymbole einsetzt) nicht.
Ein einzelner Vorhalt gefährdet die Funktion nicht, da die Zahl der akkordeigenen Töne überwiegt.
Bereits zwei Vorhalte im Dreiklang machen ihn zweideutig (Mischfunktion).
Solange der nicht vorenthaltene Funktionsgrundton im Bass liegt, ist die Funktion auch bei zahlreichen Vorhalten noch feststellbar.
Spätestens dann, wenn jeder Akkordton vorenthalten wird, ist die Funktion eine andere geworden (meist [zwischen-]dominantisch zum Akkord) und sollte als solche bezeichnet werden.
Am häufigsten wird die Terz eines Dreiklangs vorenthalten, meist von oben, seltener von unten.
Der obere Vorhalt der Terz heißt Quart-Vorhalt (genauer: Quart-Terz-Vorhalt, 4/3-Vorhalt)
Zu unterscheiden sind:
(reiner) Quart-Terz-Vorhalt (4/3-Vorhalt; Bsp. 9.2.1.1.-1a1a/b)
◊ der häufigste und wahrscheinlich älteste Vorhalt
◊ Vorhaltakkord: Doppelquart-Dreiklang (1. Umstellung)
◊ Auflösung abwärts in 3+ (kleiner oberer Vorhalt) oder 3– (großer oberer Vorhalt). Das Geschlecht des Dreiklangs klärt sich erst bei der Auflösung; dadurch sind trugschlussartige Wendungen möglich (Variantwechsel: Dur statt Moll oder umgekehrt).
◊ insbesondere bei T/t und D; ansonsten leitereigen in Dur bei Sp, Dp, Tp; in Moll bei tP, s
übermäßiger Quart-Terz-Vorhalt (4<-3-Vorhalt; Bsp. 9.2.1.1.-1a2)
◊ Vorhaltakkord: Quart-Tritonus-Dreiklang (1. Umstellung)
◊ obere Vorhaltskollision
◊ Auflösung abwärts in 3+ (großer oberer Vorhalt), ist daher nur bei Dur-Dreiklängen möglich
◊ leitereigen bei N (Bsp. 9.2.1.1.-2, Takt 4), in Dur bei S, in Moll bei tG; sonst meist chromatisch
verminderter Quart-Terz-Vorhalt (4>/3-Vorhalt; Bsp. 9.2.1.1.-1a3)
◊ Vorhaltakkord: enharmonischer Dur-Dreiklang
◊ Auffassungsdissonanz (entspricht klanglich der Dur-3; 4> ≈ 3+)
◊ Auflösung abwärts in 3– (kleiner oberer Vorhalt), ist daher nur bei Moll-Dreiklängen möglich.
◊ leitereigen z.B. in Moll-Dur bei Tg mit vorgehaltener Moll-Subdominant-Terz (Bsp. 9.2.1.1.-2, Takt 3); sonst meist chromatisch
Der untere Vorhalt der Terz heißt Sekund-Vorhalt (genauer: Sekund-Terz-Vorhalt, 2/3-Vorhalt)
Zu unterscheiden sind
(großer) Sekund-Terz-Vorhalt (2/3-Vorhalt; Bsp. 9.2.1.1.-1b1a/b)
◊ Vorhaltakkord: Doppelquart-Dreiklang (2. Umstellung)
◊ Auflösung aufwärts in 3+ (kleiner unterer Vorhalt) oder 3– (großer unterer Vorhalt). Das Geschlecht des Dreiklangs klärt sich erst bei der Auflösung.
◊ leitereigen in Dur bei T, Sp, S, D, Tp; in Moll bei t, tP, s
übermäßiger Sekund-Terz-Vorhalt (2</3-Vorhalt; Bsp. 9.2.1.1.-1b2)
◊ Vorhaltakkord: enharmonischer Moll-Dreiklang
◊ Auflösung aufwärts in 3+ (kleiner unterer Vorhalt), ist daher nur bei Dur-Dreiklängen möglich. Es handelt sich um eine Auffassungsdissonanz (entspricht klanglich der Moll-3; 2< ≈ 3–)
◊ leitereigen in Dur bei N, in Moll bei tG (mit vorgehaltener D3; Bsp. 9.2.1.1.-3 Takt 4), sonst meist chromatisch
kleiner Sekund-Terz-Vorhalt (2>-/3-Vorhalt; Bsp. 9.2.1.1.-1b3)
◊ Vorhaltakkord: Tritonus-Quart-Dreiklang (2. Umstellung)
◊ untere Vorhaltskollision; kommt daher wegen der starken Dissonanz zum Akkord-1 nur selten vor.
◊ Auflösung aufwärts in 3– (großer unterer Vorhalt), ist daher nur bei Moll-Dreiklängen möglich
◊ leitereigen nur in Dur bei Dp (Bsp. 9.2.1.1.-3, Takt 1), sonst meist chromatisch
Bsp. 9.2.1.1.-1: Vorhalte der Terz in den Oberstimmen
Vorhalt |
Klangwert |
4< / 3+ |
9 |
4 / 3± |
6 |
2< / 3+ |
5 |
Bsp. 9.2.1.1.-2: Alle vier 4/3-Vorhalte vorbereitet in einer Sequenz.
Bsp. 9.2.1.1.-2: Sequenz mit 4/3-Vorhalten in den Oberstimmen
Bsp. 9.2.1.1.-3: In dieser Sequenz erscheinen alle vier 2/3-Vorhalte mit Vorbereitung. Der stark dissonante 2–/3-Vorhalt (untere Vorhaltskollision) in Takt 1 wirkt abgemildert durch die Stetigkeit der Sequenz.
Bsp. 9.2.1.1.-3: Sequenz mit 2/3-Vorhalten in den Oberstimmen
Es handelt sich um Bass-Vorhalte bei Sextakkorden.
4/3-Vorhalte im Bass sind den Regeln des Kontrapunkt eher gemäß (dort werden sie als Sekund-Vorhalte angesehen). Die aufzulösende 2-Dissonanz zwischen Akkord-3 und 4-Vorhalt löst sich in die 3 (Akkord-1/Akkord-3) auf (Bsp. 9.2.1.2.-1a…).
Der 2/3-Vorhalt im Bass bildet zwei Dissonanzen (4 zur Akkord-5 und 7 zum Akkord-1). Bei beiden Dissonanzen müsste der obere Ton abwärts in 3 bzw. 6 aufgelöst werden; das übernimmt statt dessen der Bass mit einem Schritt aufwärts (Bsp. 9.2.1.2.-1b…).
Bsp. 9.2.1.2.-1: Vorhalte der Terz im Bass
(a…) 4/3-Vorhalte – (b…) 2/3-Vorhalte
Bsp. 9.2.1.2.-2: In dieser Sequenz treten alle vier 4/3-Vorhalte vorbereitet im Bass auf.
Bsp. 9.2.1.2.-2: Sequenz mit 4/3-Vorhalten im Bass
Bsp. 9.2.1.2.-3: In dieser Sequenz treten alle vier 2/3-Vorhalte mit Vorbereitung im Bass auf. Der stark dissonante 2–/3-Vorhalt in Takt 4 wirkt im Bass noch extremer als in den Oberstimen, wird aber abgemildert durch die Stetigkeit der Sequenz.
Bsp. 9.2.1.2.-3: Sequenz mit Sekund-Terz-Vorhalten im Bass
Vorhalte des Grundtons kommen als unechte Vorhalte (Grundton erklingt zugleich mit dem Vorhalt) oder echte Vorhalte (Grundton erklingt nicht zugleich mit dem Vorhalt) vor
Charakteristisch bei Vorhalten des Grundtons in den Oberstimmen ist das gleichzeitige Erklingen des Haupttons mit dem Vorhalt. Es handelt sich also um unechte Vorhalte.
Der obere Vorhalt des Grundtons in den Oberstimmen heißt Non-Vorhalt (genauer: Non-Oktav-Vorhalt, 9/8-Vorhalt).
Zu unterscheiden sind
großer Non-Oktav-Vorhalt (9/8-Vorhalt; Bsp. 9.2.2.1.-1a…)
◊ in Moll ergibt sich eine obere Vorhaltskollision mit der Terz
◊ Vorhaltakkord in Dur: Dur-Dreiklang mit hinzugefügter None (d9)
◊ Vorhaltakkord in Moll: Moll-Dreiklang mit hinzugefügter None (m9)
◊ Auflösung abwärts in 1 (großer oberer Vorhalt)
◊ leitereigen in Dur bei T, Sp, S, D, Tp; in Moll bei t, tP, s, tG
kleiner Non-Oktav-Vorhalt (9–/8-Vorhalt; Bsp. 9.2.2.1.-1b…)
◊ Vorhaltakkord in Dur: Dur-Dreiklang mit hinzugefügter kleiner None (d9–)
◊ Vorhaltakkord in Moll: Moll-Dreiklang mit hinzugefügter kleiner None (m9–)
◊ Auflösung abwärts in 1 (kleiner oberer Vorhalt)
◊ leitereigen in Dur bei Dp; in Moll bei D
Der untere Vorhalt des Grundtons in den Oberstimmen heißt Sept-Vorhalt (genauer: Sept-Oktav-Vorhalt, 7/8-Vorhalt).
Zu unterscheiden sind:
großer Sept-Oktav-Vorhalt (7+/8-Vorhalt; Bsp. 9.2.2.1.-1c…)
◊ Auflösung aufwärts in 1 (kleiner unterer Vorhalt)
◊ Vorhaltakkord beim Dur-Dreiklang: großer Dur-Septakkord
◊ Vorhaltakkord beim Moll-Dreiklang: großer Moll-Septakkord
◊ leitereigen in Dur bei T, S; in Moll bei t, tP, tG
kleiner Sept-Oktav-Vorhalt (7/8-Vorhalt; Bsp. 9.2.2.1.-1d…)
◊ Auflösung aufwärts in 1 (großer unterer Vorhalt)
◊ Vorhaltakkord beim Dur-Dreiklang: kleiner Dur-Septakkord. Die 7– als Vorhalt vor dem Akkord-1 mutet wie die charakteristische Dissonanz einer Dominante und lässt eine Auflösung abwärts erwarten; die Auflösung aufwärts wirkt daher meist ungewöhnlich.
◊ Vorhaltakkord beim Moll-Dreiklang: kleiner Moll-Septakkord
◊ leitereigen in Dur bei Sp, Dp, D, Tp; in Moll bei s
Bsp. 9.2.2.1.-1: Vorhalte des Grundtons in den Oberstimmen
Vorhalt |
Klangwert |
9– / 8in Moll |
17 |
9 / 8 in Moll |
15 |
9 / 8 in Dur |
14 |
7+ / 8 in Dur |
13 |
7 / 8 in Moll |
12 |
Bsp. 9.2.2.1.-2: In dieser Sequenz treten alle 9/8-Vorhalte vorbereitet bei Dur- und Moll-Dreiklängen auf.
Bsp. 9.2.2.1.-2: Sequenz mit Non-Oktav-Vorhalten in den Oberstimmen
Bsp. 9.2.2.1.-3: In dieser Sequenz treten alle 7/8-Vorhalte vorbereitet bei Dur- und Moll-Dreiklängen auf.
Bsp. 9.2.2.1.-3: Sequenz mit Sept-Oktav-Vorhalten in den Oberstimmen
Charakteristisch bei Vorhalten des Grundtons im Bass ist das tatsächliche Vorenthalten des Haupttons durch den Vorhalt (echter Vorhalt). Das Vorenthalten des Grundtons wird in den Funktionssymbolen mit Durchstreichen gekennzeichnet (Funktion verkürzt: Funktionsgrundton fehlt).
Der obere Vorhalt des Grundtons im Bass heißt Sekund-Vorhalt (genauer: Sekund-Grundton-Vorhalt, 2/1-Vorhalt).
Zu unterscheiden sind
großer Sekund-Vorhalt (2/1-Vorhalt; Bsp. 9.2.2.2.-1a1/2)
◊ in Moll obere Vorhaltskollision mit der Terz
◊ Vorhaltakkord in Dur: unvollständiger kleiner Moll-Septakkord
◊ Vorhaltakkord in Moll: unvollständiger großer Dur-Septakkord
◊ Auflösung in 1 (großer oberer Vorhalt)
kleiner Sekund-Vorhalt (2–/1-Vorhalt; Bsp. 9.2.2.2.-1b1/2)
◊ Vorhaltakkord in Dur: verminderter Dreiklang
◊ Vorhaltakkord in Moll: unvollständiger kleiner Dur-Septakkord
◊ Auflösung in 1 (kleiner oberer Vorhalt)
Der untere Vorhalt des Grundtons im Bass heißt (wie bei den Oberstimmen) Sept-Vorhalt (genauer: Sept-Oktav-Vorhalt, 7/8-Vorhalt).
Zu unterscheiden sind:
großer Sept-Vorhalt (7+/8-Vorhalt; Bsp. 9.2.2.2.-1c1/2)
◊ Auflösung in 1 (kleiner unterer Vorhalt)
◊ Vorhaltakkord beim Dur-Dreiklang: Moll-Dreiklang mit Quintbass (Auffassungsdissonanz), der als großer dominantischer Sextakkord mit Terzbass gedeutet werden kann (Bsp. 9.2.2.2.-1c1; wenn nicht sogar als Tg oder Dp mit Quintbass und 2x3 oder als zu diesem Funktionen gehöriger Dt).
◊ Vorhaltakkord beim Moll-Dreiklang: übermäßiger Dreiklang, der als kleiner dominantischer Sextakkord mit Terzbass gedeutet werden kann (Bsp. 9.2.2.2.-1c2).
Das betonte Eintreten ist für Dominanten allerdings eher untypisch, so dass die Vorhaltwirkung überwiegt.
kleiner Sept-Vorhalt (7/8-Vorhalt; Bsp. 9.2.2.2.-1d1/2)
◊ Auflösung in 1 (großer unterer Vorhalt)
◊ Vorhaltakkord beim Dur-Dreiklang: verminderter Dreiklang. Die 7– als Vorhalt vor dem Akkord-1 mutet wie die charakteristische Dissonanz einer Dominante und lässt eine Auflösung abwärts erwarten; die Auflösung aufwärts wirkt daher besonders im Bass meist ungewöhnlich.
◊ Vorhaltakkord beim Moll-Dreiklang: Dur-Dreiklang mit Quintbass (Auffassungsdissonanz), der als seine Dur-Parallele gedeutet werden kann (oder der dieser Funktion zugehöriger DT; Bsp. 9.2.2.2.-1d2).
Bsp. 9.2.2.2.-1: Vorhalte des Grundtons im Bass
Vorhalt |
Klangwert |
2– / 1 in Moll |
9 |
2 / 1 in Moll |
8 |
2 / 1 in Dur |
7 |
7+ / 8 in Moll |
6 |
7+ / 8 in Dur |
5 |
Bsp. 9.2.2.2.-2: Diese Sequenz enthält alle 2/1-Vorhalte im Bass vorbereitet bei Dur- und Moll-Dreiklängen.
Bsp. 9.2.2.2.-2: Sequenz mit Sekund-Prim-Vorhalten im Bass
Bsp. 9.2.2.2.-3: Diese Sequenz enthält alle 7/8-Vorhalte im Bass vorbereitet bei Dur- und Moll-Dreiklängen.
Bsp. 9.2.2.2.-3: Sequenz mit Sept-Oktav-Vorhalten im Bass
Vorhalte des Grundtons bei Dreiklängen mit Terzbass können nur in den Oberstimmen auftreten. Der Auflösungston erscheint nicht zugleich mit dem Vorhalt (echter Vorhalt).
Aus der Sicht des Generalbasses handelt es sich um:
9/8-Vorhalt: Sept-Vorhalt in einem Sextakkord (7 6)
7/8-Vorhalt: durchgehende Sexte eines Terzquintakkordes (5 6)
und werden entsprechend beziffert.
9/8-Vorhalte sind als solche eindeutig und ändern die Funktion nicht (Bsp. 9.2.2.3.-1a…/b…).
Der 7-Vorhalt dagegen lässt einen anderen Grundton vermuten, da der eigentliche Grundton vorenthalten ist:
7+/8-Vorhalt beim Dur-Dreiklang (ohne Grundton)
◊ Vorhaltakkord: Moll-Dreiklang, identisch mit dessen großterzverwandten Akkord (Bsp. 9.2.2.3.-1c1)
◊ bei N (= s) leitereigen in Dur bei T (= Tg), S (= Sg); in Moll bei tP/dG (= d), tG (= t)
7+/8-Vorhalt beim Moll-Dreiklang (ohne Grundton)
◊ Vorhaltakkord: übermäßiger Dreiklang, identisch mit dem zugehörigen kleinen dominantischen Sextakkord (Bsp. 9.2.2.3.-1c2)
◊ leitereigen in Moll bei t (= D6–)
7–/8-Vorhalt beim Dur-Dreiklang (ohne Grundton)
◊ Vorhaltakkord: verminderter Dreiklang; der Vorhalt wirkt wie die 7 einer verkürzten D (Bsp. 9.2.2.3.-1d1)
◊ leitereigen in Dur bei D (= D7), im natürlichen Moll bei VII (= (D7)tP)
7–/8-Vorhalt beim Moll-Dreiklang (ohne Grundton)
◊Vorhaltakkord: Dur-Dreiklang, identisch mit dessen kleinterzverwandten Akkord (Bsp. 9.2.2.3.-1d2)
◊ leitereigen in Dur bei Sp (= S), Dp (= D), Tp (= T); in Moll bei t (= tP), s (= sP), d (= dP)
Bsp. 9.2.2.3.-1: Vorhalte des Grundtons bei Dreiklängen mit Terzbass
Bsp. 9.2.2.3.-2: In dieser Sequenz erscheinen alle 9/8-Vorhalte bei Dreiklängen mit Terzbass in den Oberstimmen.
Bsp. 9.2.2.3.-2: Sequenz mit 9/8-Vorhalten bei Dreiklängen mit Terzbass in den Oberstimmen
Bsp. 9.2.2.3.-3: In dieser Sequenz erscheinen alle 7/8-Vorhalte bei Dreiklängen mit Terzbass in den Oberstimmen.
Bsp. 9.2.2.3.-3: Sequenz mit 7/8-Vorhalten bei Dreiklängen mit Terzbass in den Oberstimmen
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