1 Unter Alteration (lat. alterare = anders machen, verändern) ist zunächst die chromatische Veränderung einer Tonleiterstufe zu verstehen.
Hochalteration (chromatische Erhöhung) ist bei Tonleiterstufen möglich, deren nächst höhere Tonleiterstufe einen Ganztonschritt entfernt ist. Die alterierte Stufe wird künstlicher Leitton zur nächst höheren Stufe.
Tiefalteration (chromatische Erniedrigung) ist bei Tonleiterstufen möglich, deren nächst tiefere Tonleiterstufe einen Ganztonschritt entfernt ist. Die alterierte Stufe wird künstlicher Gleitton zur nächst tieferen Stufe.
Die Hochalterationen in einstimmiger und polyphoner Musik dient vor allem die Schaffung eines subsemitonium (Leitton zur 1) durch Alteration der 7 in den Kirchentonarten, die selbst keinen solchen besitzen:
Dorisch wird durch Hochalteration der 7 zu melodischem Moll.
Im Phrygischen wurde auf die Schaffung eines subsemitonium verzichtet, da es einen „supersemitonium“ (nämlich den Halbton über der 1 [„phrygische Sekunde“]) enthält. Dafür wurde die 3 hochalteriert („Pikardische Terz“).
Lydisch hat zwar einen subsemitonium, um allerdings den Tritonus von 1 nach 4 zu eliminieren, wurde die 4 („lydische Quarte“) tiefalteriert. Dadurch wird Lydisch zu Dur.
Mixolydisch wird durch Hochalteration der 7 („mixolydische Septime“) zu Dur.
Bsp. 12.1.-1: Alteration bei Kirchentonarten
(a) Dorisch – (b) Phrygisch
(c) Lydisch – (d) Mixolydisch
Auch die wechselweise Verwendung der Töne h (b quadratum, b durum) und b (b rotundum, b molle), je nach Modus ist eine Erklärung für den Begriff „Alteration“: lat. alter = der eine, andere von beiden.
2 Alterierte Tonleitertöne sind leiterfremd, die unalterierten Tonleitertöne leitereigen.
3 In harmonisch-homophoner Musik können die Töne der leitereigenen Dreiklänge alteriert werden. Damit einher geht (meist) ein Funktionswechsel, mitunter auch lediglich die Verstärkung der Funktionswirkung.
4 Zu unterscheiden sind echte und unechte Alteration:
Durch eine unechte Alteration entsteht ein Dreiklang, der zwar einen tonleiterfremden Ton enthält, allerdings in dieser Form in anderen Tonarten leitereigen vorkommt.
Die Dreiklänge, die durch unechte Alteration entstehen, sind daher immer Dur-, Moll-, verminderte oder übermäßige Dreiklänge.
Durch eine echte Alteration entsteht eine Dreiklangsform, die weder in Dur noch in Moll leitereigen vorkommt und alterierte Formen von Dominanten und Subdominanten darstellen.
Durch echte Alterationen entstehen zehn Dreiklangsformen, die als modifizierte Dominanten und/oder Subdominanten funktionieren.
1 Besonders häufig ist die Alteration der Terz von leitereigenen Dur- und Moll-Dreiklängen (Variantenwechsel). Er bewirkt eine Funktionsänderung.
Moll-Dreiklänge werden bei Hochalteration der Terz zu Dur-Dreiklängen (Verduren) und dadurch dominantisiert zu (Zwischen-)Dominanten (Bsp. 12.1.1.-1).
Bsp. 12.1.1.-1: Hochalteration der (Moll-)Terz (Dominantisieren)
Dur-Dreiklänge werden bei Tiefalteration der Terz zu Moll-Dreiklängen (Vermollen) und dadurch subdominantisiert zu (Zwischen-) Subdominanten (Bsp. 12.1.1.-2).
Bsp. 12.1.1.-2: Tiefalteration der (Dur-)Terz (Subdominantisieren)
2 Die Alterationen der Quinte dient bei dissonanten Dreiklängen dem Zweck konsonante Dreiklänge zu erhalten.
verminderte Dreiklänge (Dur/Moll VII, Moll harm. II, Moll mel. VI) werden durch Hochalteration der Quinte zu Moll-Dreiklängen (Bsp. 12.1.1.-3a).
übermäßige Dreiklänge (Moll III) werden durch Tiefalteration der Quinte zu Dur-Dreiklängen (Bsp. 12.1.1.-3b).
Bsp. 12.1.1.-3: Alteration der Quinte bei leitereigenen Dur- und übermäßigen Dreiklängen
3 Die Alteration der Quinte bei Dur- und Moll-Dreiklängen führt zu dissonanten Dreiklängen.
Moll-Dreiklänge werden durch Tiefalteration der Quinte zu verminderten Dreiklängen und dadurch subdominantisiert zu (zwischen-) mollsubdominantischen Sextakkorden (Bsp. 12.1.1.-4).
Dur-Dreiklänge werden durch Hochalteration der Quinte zu übermäßigen Dreiklängen und dadurch dominantisiert zu (Zwischen-) Dominanten mit übermäßiger Quinte (Bsp. 12.1.1.-5).
Bsp. 12.1.1.-4: Tiefalteration der Quinte bei leitereigenen Moll-Dreiklängen
Bsp. 12.1.1.-5: Hochalteration der Quinte leitereigener Dur-Dreiklänge
Auch Alteration von Terz und Quinte können vorkommen, sind im Kantionalsatz allerdings selten anzutreffen.
Bsp. 12.1.1.-6: Alteration von Terz und Quinte bei leitereigenen Dreiklängen
4 Die Alteration des Grundtons eines leitereigene Dreiklangs geht immer einher mit einem Funktionswechsel. Hochalteration der Quinte wirkt bei Dur-Dreiklängen dominantisierend, Tiefalteration bei verminderten Dreiklängen subdominantisierend.
Dur-Dreiklänge werden durch Hochalteration des Grundtons zu verminderten Dreiklängen und dadurch dominantisiert zu verkürzten (Zwischen-) Dominantseptakkorden (Bsp. 12.1.1.-7a).
übermäßige Dreiklänge werden durch Hochalteration des Grundtons zu Moll-Dreiklängen (Bsp. 12.1.1.-7b).
Bsp. 12.1.1.-7: Hochalteration des Grundtons leitereigener Dreiklänge
Moll-Dreiklänge werden durch Tiefalteration des Grundtons zu übermäßigen Dreiklängen und dadurch dominantisiert zu (Zwischen-) Dominanten mit kleiner Sexte statt Quinte (Bsp. 12.1.1.-8).
verminderte Dreiklänge werden durch Tiefalteration des Grundtons zu Dur-Dreiklängen und dadurch subdominantisiert zu Neapolitaner, Mollsubdominant-Durparallele oder Doppelsubdominante (Bsp. 12.1.1.-9).
Bsp. 12.1.1.-8: Tiefalteration des Grundtons leitereigener Moll-Dreiklänge
Bsp. 12.1.1.-9: Tiefalteration des Grundtons leitereigener verminderter Dreiklänge
5 Übersicht der unecht alterierten Dreiklänge:
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übermäßig |
dur |
moll |
vermindert |
5< |
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5> |
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3< |
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3> |
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1< |
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1> |
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1 Durch echte Alteration entstehen zehn chromatische Dreiklangsformen.
Diatonische Dreiklangsformen sind Dur-, Moll-, verminderter und übermäßiger Dreiklang, die einzigen, die in diatonischen Skalen leitereigen vorkommen.
Sechs dieser chromatischen Dreiklänge sind dissonant: dur-vermindert, moll-vermindert, doppelt und dreifach vermindert, übermäßig-vermindert sowie vermindert-übermäßig.
Die vier übrigen entsprechen enharmonisch verwechselt Dur- bzw. Molldreiklängen:
Sie sind also klanglich konsonant, enthalten aber chromatische Töne. Derartige Akkorde heißen Scheinkonsonanzen.
2 Übersicht der echt alterierten Dreiklänge:
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übermäßig |
dur |
moll |
vermindert |
5< |
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5> |
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3< |
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3> |
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1< |
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1> |
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1 Das Prinzip der Alteration von Stufen wird übertragen auf Vier- und Mehrklänge unabhängig von ihrem tonartlichen Zusammenhang. Dabei handelt es sich entweder um (Zwischen-)Dominanten oder (Zwischen-)Subdominanten, von denen jeweils Grundformen angenommen werden, die nicht alteriert sind. Unter Alteration ist in diesem Zusammenhang die chromatische Veränderung eines akkordeigenen Tones zu verstehen.
Dominante mit kleiner Septime, großer/kleiner None, reiner Undezime und großer/kleiner Tredezime (oder Sexte) (Bsp. 12.2.-1a)
Subdominante (dur oder moll) mit großer Sexte (sixte ajoutée) oder kleiner/großer Septime und großer None (Bsp. 12.2.1-b)
Bsp. 12.2.-1: unalterierte Grundformen von (a) Dominante und (b) Subdominante
2 Bei der normalen Alteration wird ein akkordeigener Ton hoch- oder tiefalteriert. Die Funktion wird durch die Alteration verstärkt. Daher sind nicht alle Akkordtöne sind für Alterationen geeignet.
Alterierbare Töne der Dominanten:
Quinte, Septime, None, Undezime und Terz (nur bei Zwischendominanten)
Bsp. 12.2.-2: alterierbare Töne der Dominante
Alterierbare Töne der Subdominanten:
Terz, Quinte, Sexte und None
Bsp. 12.2.-3: alterierbare Töne der Subdominante
3 Es können auch mehrfache normale Alterationen an einem Akkord vorgenommen werden.
4 Alterationen können auch als chromatische Vorhalte eingesetzt werden. Dabei erfolgt die Auflösung der Alteration vor dem Funktionswechsel.
Bsp. 12.2.-4: Alteration (a) als chromatischer Vorhalt – (b) wird bei Funktionswechsel aufgelöst
(c) wird chromatischer Vorhalt
Andere Bezeichnung: Tonspaltung
Bei Disalteration erscheinen im Akkord zugleich Hoch- und Tiefalteration eines Tons auf. Dies ist nur möglich bei Quinte und Septime.
Koalteration bedeutet, dass ein alterierter Ton zugleich mit dem unalterierten Ton auftritt.
Bei der enharmonischen Alteration ist ein alterierter Ton enharmonisch identisch mit einem anderen alterierten oder unalterierten Akkordton.
Bei der Dominante ist dies der Fall bei:
Bei der Subdominante können enharmonische Alterationen vorkommen bei:
Die beiden enharmonischen Töne sind jeweils Strebetöne mit meist unterschiedlicher Auflösungsrichtung.
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