2.2.2. leitereigene Dreiklänge

Als Klangmaterial für den homophonen Tonsatz stehen die leitereigenen Dreiklänge aus Dur und Moll oder den Modi zur Verfügung. Diese entstehen durch Terzschichtung leitereigener Tönen auf jedem Tonleiterton.

Unter Terzschichtung ist eines von mehreren Akkordbildungsprinzipien zu verstehen, bei dem Töne im Terzabstand übereinander gesetzt werden. Auch mit anderen Intervallen lassen sich Akkorde bilden, die aber nicht unbedingt zu anderen Akkordtypen führen. Die Siebenklänge in Bsp. 2.2.2.-1, die durch Terz-, Quart- bzw. Sekundschichtung gebildet wurden, bestehen aus jeweils den gleichen Tönen, es handelt sich also um den gleichen Akkord.

Bsp. 2.2.2.-1: Akkordbildung durch
(a) Terz-, (b) Quart- und (c) Sekundschichtung
Akkordbildung durch Intervallschichtung


In der Frühzeit der Mehrstimmigkeit, nach Emanzipierung der Terz/Sexte als Konsonanz, wurde die Hinzunahme von Terz sowie Quinte oder Sexte zu einem Ton als einzige Möglichkeit erkannt, konsonante Dreiklänge zu erzielen. Dabei wurden Dreiklänge mit Grundton, Terz und Quinte (Terzquintakkord) und mit Grundton, Terz und Sexte (Sextakkord) als eigenständige Akkorde betrachtet. Später setzte sich die Erkenntnis durch, dass Sextakkorde als Umstellung von Terzquintakkorden verstanden werden können.

2.2.2.1. leitereigene Dreiklänge in Dur

In Dur sind II, II und VI Nebendreiklänge:

II: • Subdominantparallele (Sp, Dursubdominant-Mollparallele)
• Subdominante mit Sexte statt Quinte (S6, „[groß] S sechs“, „dursubdominantischer Sextakkord“)
III: • Dominantparallele (Dp, Durdominant-Mollparallele)
• Tonikagegenklang (Tg, Durtonika-Mollgegenklang)
• Dominante mit Sexte statt Quinte (D6, dominantischer Sextakkord)
VI: • Tonikaparallele (Tp, Durtonika-Mollparallele, Trugschlussakkord in Dur)
• Subdominantgegenklang (Sg, Dursubdominant-Mollgegenklang)

Die Nebendreiklänge in Dur sind primär Parallelklänge jeweils eines Hauptdreiklangs. III und VI können auch, je nach harmonischem Kontext, als Gegenklänge eines anderen Hauptdreiklangs interpretiert werden.

Die VII hat Dominantfunktion:

VII: • verkürzter Dominantseptakkord (D7, Dominantseptakkord mit weggelassenem Grundton)

Die IV kann auch funktionieren als Neapolitaner der Durdominant-Mollparallele ((N)Dp).

Bsp. 2.2.2.1.-1: leitereigene Dreiklänge in Dur

leitereigene Dreiklänge in Dur


2.2.2.2. leitereigene Dreiklänge im harmonischen Moll

Im harmonischen Moll (auch Durmoll, verdurtes Moll) sind II, III und VII keine Nebenstufen, sondern haben subdominantische bzw. dominantische Funktion. Nur die VI ist Nebenstufe.

II: • Mollsubdominante mit (großer) Sexte statt Quinte (s6, mollsubdominantischer Sextakkord)
• Zwischendominante zur Tonikaparallele des natürlichen Moll ((D7)tP)
III: • Dominante mit (kleiner) Sexte statt Quinte (D6, dominantischer Sextakkord)
• Zwischendominante zum Tonikagegenklang ((D5<)tG)
VI: • Tonikagegenklang (tG, Molltonika-Durgegenklang, Trugschlussakkord in Moll)
• Subdominantparallele (sP, Mollsubdominant-Durparallele)
VII: wie in Dur

Bsp. 2.2.2.2.-1: leitereigene Dreiklänge im harmonischen Moll

leitereigene Dreiklänge im harmonischen Moll


2.2.2.3. leitereigene Dreiklänge im natürlichen Moll

Da der Tonvorrat von Moll auch die erhöhte 6. und tiefe 7. Stufe beinhaltet, können auf allen (außer der 1. Stufe) auch andere Dreiklangstypen stehen.

Im natürlichen Moll haben III, V und VII eine andere Funktion (sie enthalten die tiefe 7. Stufe):

III: • Tonikaparallele (tP, Molltonika-Durparallele = Tonika der parallelen Dur-Tonart)
• Dominantgegenklang (dG, Molldominant-Durgegenklang)
• Zwischendominante des Tonikagegenklangs ((D)tG)
• Neapolitaner der Doppeldominante ((N)2.D)
V: • „Molldominante“ (d, ist definitionsgemäß Dominante, weil Dreiklang auf der 5. Stufe; die (Moll-Terz ist allerdings nicht Leitton, daher fehlt die dominantische Qualität. Dieser Akkord wird meist in der ersten Umstellung bei stufenweise abwärts gehendem Bass eingesetzt.)
• Doppelsubdominante mit Sexte statt Quinte (2.S6, doppeldursubdominantischer Sextakkord)
• Zwischendominante zur Tonikaparallele mit Sexte statt Quinte ((D6)tP)
VII: • Dominantparallele (dP, Molldominant-Durparalle)
• Doppelsubdominante (2.S, Doppeldursubdominante; die Wirkung ist modal [an dorisch erinnernd]; Verwendung in Subdominantketten und in der Popularmusik oft anstelle der Subdominante)
• Zwischendominante zur Tonikaparallele ((D)tP)

Bsp. 2.2.2.3.-1: leitereigene Dreiklänge im natürlichen Moll

leitereigene Dreiklänge im natürlichen Moll


2.2.2.4. leitereigene Dreiklänge im melodischen Moll

Im melodischen Moll haben II und VI andere Funktion (sie enthalten die „dorische Sexte“). Das melodische Moll unterscheidet sich nur in der 3. Stufe von Dur, daher ist der Funktionsbestand weit gehend identisch.

II: wie in Dur
VI: • Zwischendominante der Dominantparallele des natürlichen Moll ((D7)dP)
• Zwischensubdominante zur Dominante ((s6)D)

Die IV kann auch funktionieren als:

IV: • wie in Dur als Subdominante und wird im Moll-Kontext melodische oder dorische Subdominante genannt
• Neapolitaner der Durdominant-Mollparallele ((N)Dp)

Bsp. 2.2.2.4.-1: leitereigene Dreiklänge im melodischen Moll

leitereigene Dreiklänge im melodischen Moll


In der Modalität regulieren sich harmonische Kräfte über Klauseln. Funktionen können den Akkorden erst seit Etablierung der Dur-Moll-Tonalität zugewiesen werden.

Modalität: die ausschließliche Verwendung des Systems der Modi („Kirchentonarten“) (bis ca. 1600)

Klauseln: kontrapunktische Schlusswendungen der Modalität, aus denen die dur-moll-tonalen Schlüsse entstanden sind

Dur-Moll-Tonalität: die ausschließliche Verwendung des Tonvorrats von Dur und Moll, mit der Möglichkeit abweichende Töne aus der Modi zu übernehmen

Der Akkordvorrat von Dur und Moll kann durch Übernahmen von abweichenden Tönen aus den Modi bereichert werden:

in Moll: • erniedrigte 2. Stufe (bII) aus dem Phrygischen
• hohe 6. Stufe aus dem Dorischen
in Dur: • erhöhte 4. Stufe (#IV) aus dem Lydischen
• erniedrigte 7. Stufe (bVII) aus dem Mixolydischen

Umstritten ist, ob es sich bei diesen Tönen um Alterationen handelt.

2.2.2.5. leitereigene Dreiklänge im Dorischen

Charakteristikum des Dorischen ist die hohe 6. Stufe („dorische Sexte“) und der fehlende Leitton. Die natürliche Moll-Skala wird um den unterschiedlichen Ton der Molltonart eine Quinte höher erweitert.

II und IV funktionieren wie in Dur, III, V und VII wie im natürlichen Moll, VI wie im melodischen Moll.

Bsp. 2.2.2.5.-1: leitereigene Dreiklänge im dorischen Moll


2.2.2.6. leitereigene Dreiklänge im Phrygischen

Charakteristikum des Phrygischen ist die gegenüber natürlichem Moll erniedrigte 2. Stufe („phrygische Sekunde“). Die natürliche Moll-Skala wird um den unterschiedlichen Ton der Molltonart eine Quinte tiefer erweitert. Daher funktionieren II, V und VII, die diese Tonleiterstufe enthalten, anders:

II: • in Grundstellung: verselbständigter Neapolitaner (N, auch sG: Mollsubdominant-Durgegenklang)
• als Sextakkord: Neapolitaner (sN, Mollsubdominante mit kleiner [„neapolitanischer“] Sexte statt Quinte, neapolitanischer Sextakkord, Akkord der neapolitanischen Sexte)
V: • Zwischendominante des Tonikagegenklang ((D7)tG) bzw. der Subdominantparallele ((D7)sP)
• Doppelsubdominante mit Sexte statt Quinte (2.s6, doppelmollsubdominantischer Sextakkord)
VII: • Neapolitanerparallele (Np)
• Doppelsubdominante (2.s, Doppelmollsubdominante)
• Parallele der Dominante des natürlichen Moll (dp, Molldominant-Mollparallele)

Bsp. 2.2.2.6.-1: leitereigene Dreiklänge im Phrygischen


2.2.2.7. leitereigene Dreiklänge im Lydischen

Charakteristikum des Lydischen ist die gegenüber Dur erhöhte 4. Stufe. Die Dur-Skala wird um den unterschiedlichen Ton der Dominanttonart erweitert. Daher funktionieren II, IV und VII, die diese Tonleiterstufe enthalten, anders als in Dur:

II: • Doppeldominante (2.D)
• Subdominantparallele (SP, Dursubdominant-Durparallele)
IV: • Doppeldominantseptakkord ohne Grundton (2.D7)
VII: • Dominantgegenklang (Dg, Durdominant-Mollgegenklang)
• Doppeldominante mit Sexte statt Quinte (2.D6, doppeldominantischer Sextakkord)

Bsp. 2.2.2.7.-1: leitereigene Dreiklänge im Lydischen


2.2.2.8. leitereigene Dreiklänge im Mixolydischen

Charakteristikum des Mixolydischen ist gegenüber Dur die tiefe 7 („mixolydische Septime“). Es fehlt der Leitton, dafür wird die Dur-Skala um den unterschiedlichen Ton der Subdominanttonart erweitert. Daher funktionieren III, V und VII, die die 7 enthalten, anders als in Dur:

III: • Zwischendominante der Subdominante ((D7)S)
V: wie im natürlichen Moll
VII: wie im natürlichen Moll

Bsp. 2.2.2.8.-1: leitereigene Dreiklänge im Mixolydischen


2.2.2.9. leitereigene Dreiklänge in Molldur

Bei Molldur (auch harmonisches Dur, vermolltes Dur) handelt es sich um die Dur-Skala mit erniedrigter 6. Stufe. Daher funktionieren II, IV und VI, die die 6. Tonleiterstufe enthalten, anders als in Dur:

II und IV wie im harmonischen Moll

VI: • verkürzte Moll-Subdominante mit großer Septime (s7+)
• Zwischendominante mit hochalterierter Quinte des Neapolitaners ((D5<)N)
• Zwischendominante mit kleiner Sexte statt Quinte der Subdominante ((D6–)s)

Bsp. 2.2.2.9.-1: leitereigene Dreiklänge in Molldur

leitereigene Dreiklänge in Molldur


2.2.2.10. leitereigene Dreiklänge der akustischen Skala

Die akustische Skala ist aus der Partialtonreihe abgeleitet (Partialtöne 8 – 14).
Es handelt sich um ein modifiziertes Dur mit zwei veränderten Tönen:

Daher funktionieren alle Stufen, die die 4 und 7enthalten, anders als in Dur:

II und IV wie lydisch

III wie mixolydisch

V wie natürliches Moll

VII: • Doppeldominante mit kleiner Sexte statt Quinte (2.D6–)
• Zwischendominante mit hochalterierter Quinte zur Tonikaparallele ((D5<)tP)

Bsp. 2.2.2.10.-1: leitereigene Dreiklänge der akustischen Skala


2.2.2.11. Übersicht

Aus der Tabelle ist zu entnehmen, welche Dreiklänge in den verschiedenen Tonleitermodellen (Grundton jeweils C) leitereigen sind.

Großbuchstabe: Dur-Dreiklang; Kleinbuchstabe: Moll-Dreiklang; hochgestelltes v: verminderter Dreiklang; hochgestelltes ü: übermäßiger Dreiklang
grau hinterlegt: Dreiklänge, die leitereigen nicht in Dur und den drei Arten von Moll vorkommen

Dreiklang

Funktion

Dur

Moll

dorisch

phrygisch

lydisch

mixolydisch

Molldur

akustisch

harm.

nat.

mel.

C

T

X

 

 

 

 

 

X

X

X

X

c

T

 

X

X

X

X

X

 

 

 

 

Des

N / sG

 

 

 

 

 

X

 

 

 

 

D

2.D / SP

 

 

 

 

 

 

X

 

 

X

d

Sp / S6

X

 

 

X

X

 

 

X

 

 

dv

s6 / (D7)tP

 

X

X

 

 

 

 

 

X

 

Es

tP / dG

 

 

X

 

X

X

 

 

 

 

Esü

D6- / (D5<)tG

 

X

 

X

 

 

 

 

 

 

e

Dp / tG / D6

X

 

 

 

 

 

X

 

X

 

ev

(D7)S

 

 

 

 

 

 

 

X

 

X

F

S

X

 

 

X

X

 

 

X

 

 

f

s

 

X

X

 

 

X

 

 

X

 

fisv

2.D7

 

 

 

 

 

 

X

 

 

X

G

D

X

X

 

X

 

 

X

 

X

 

g

d / 2.S6

 

 

X

 

X

 

 

X

 

X

gv

(D7)tG/sP / 2.s6

 

 

 

 

 

X

 

 

 

 

As

tG / sP

 

X

X

 

 

X

 

 

 

 

Asü

s7+ / (D5<)N / (D6-)s

 

 

 

 

 

 

 

 

X

 

a

Tp / Sg

X

 

 

 

 

 

X

X

 

X

av

(D7)dP / (s6)d

 

 

 

X

X

 

 

 

 

 

B

2.S / dP / (D)tP

 

 

X

 

X

 

 

X

 

 

Bü

2.D6 / (D5<)tP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

X

b

2.s / Np / dp

 

 

 

 

 

X

 

 

 

 

h

Dg

 

 

 

 

 

 

X

 

 

 

hv

D7

X

X

 

X

 

 

 

 

X

 

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