Andere Bezeichnungen: Durchgangsnote, transitus
1 Ein Durchgang führt stufenweise in einer Richtung vom HT über den NT zum ZT.
Der NT ist unbetont (transitus regularis).
Durchgänge dienen der melodischen Ausfüllung größerer Intervalle. Die beiden Töne dieser Intervalle können zum gleichen oder verschiedenen Akkorden gehören.
Ein einzelner harter Durchgang (auch: betonter oder unregelmäßiger Durchgang, transitus irregularis) erweist sich meist als Vorhalt. Lediglich im Zusammenhang einer fortdauernden Stufenbewegung einer Stimme, in der Haupttöne und Nebentöne wechseln, ist die Deutung als Durchgang vertretbar.
Bsp. 9.3.-1a zeigt einen Quart-Vorhalt der T im Bass integriert im Verlauf einer fortdauernden Stufenbewegung des Basses. Die Bezeichnung als betonter (harter) Durchgang mag hier gerechtfertigt sein.
In Bsp. 9.3.-1b steht die selbe Wendung isoliert und ist eindeutig Vorhalt.
Bsp. 9.3.-1c: drei Durchgänge während eines liegenden Klangs. Der betont auftretende zweite Durchgang (Pfeil) ist eindeutig ein betonter (harter) Durchgang.
Bsp. 9.3.-1: (a,c) harter Durchgang – (b) Vorhalt
2 Der ZT ist entweder ein anderer Ton des gleichen Akkordes (Durchgang ohne Funktionswechsel, Bsp. 9.3.-1) oder Ton eines anderen Akkordes (Durchgang mit Funktionswechsel, Bsp. 9.3.-2).
Bsp. 9.3.-1c2: Die Durchgänge in drei Stimmen bilden einen Akkord, der hier als Dominante gedeutet werden kann.
Bsp. 9.3.-2: Beispiele für Durchgänge ohne Funktionswechsel
(a1) diatonisch aufwärts – (a2) chromatisch aufwärts – (b1) diatonisch abwärts – (b2) chromatisch abwärts
(c1) in zwei Stimmen – (c2) in drei Stimmen – (d) doppelter Durchgang
Durchgänge mit Funktionswechsel sind häufig charakteristische Dissonanzen von D oder S.
Bsp. 9.3.-3a: durchgehende Septime (bei der D)
Bsp. 9.3.-3b: durchgehende Sexte (bei der s)
Bsp. 9.3.-3: Beispiele für Durchgänge mit Funktionswechsel
3 Durchgängen können gleichzeitig in mehreren Stimmen auftreten. Die dabei entstehenden Akkorde, können harmonisch von Bedeutung sein (funktionsbildende Durchgänge, Durchgangsakkorde; Bsp. 9.3.-2c2). Auch bereits bei Durchgang in nur einer Stimme kann dieser Fall eintreten (Bsp. 9.3.-4).
Bsp. 9.3.-4: Funktionsbildender Durchgang in einer Stimme
4 Zwischen HT und ZT können mehrere Durchgänge stehen (Bsp. 9.3.-2d: doppelter Durchgang).
5 Eine besondere Form mehrfacher Durchgänge ist die Nota cambiata (auch Cambiata oder Fux’sche Wechselnote; it. cambiare = austauschen). Aus der linearen Folge der Durchgänge 7-6-5 wird ausgebrochen, indem 5 und 6 ihre Plätze tauschen.
Bsp. 9.3.-5: Die konsequente Folge von drei Durchgängen (a) wird durchbrochen und es erfolgt (b) ein Absprung aus der (dissonanten) 7 in die (konsonante) 5. Es handelt sich also genau genommen um einen abspringenden Nebenton.
Bsp. 9.3.-5: (a) dreifacher Durchgang – (b) Cambiata
Bsp. 9.3.-6: Bei der als „romantischer Durchgang“ bezeichnete Wendung handelt es sich um eine Alteration des S1 zum 2.D3. Dass es sich nicht um einen Durchgang handelt ist eindeutig, da fis weder diatonischer noch chromatischer Nebenton von f ist, sondern dessen Alteration.
Bsp. 9.3.-6: „romantischer Durchgang“
6 Wie die meisten akkordfremden Töne sind auch Durchgänge wahrscheinlich aus der Verzierungspraxis entstanden.
Bsp. 9.3.-7: doppelter Durchgang entstanden aus Nachschlag
Andere Bezeichnungen: Wechselnote, Drehnote, Nebennote
1 Beim Wechselton sind HT und ZT sind identisch. Der NT steht unbetont. Der ZT wird erreicht entweder solange der Akkord weiter klingt (Wechselton ohne Funktionswechsel, Bsp. 9.4.-1a1-d) oder zugleich mit einem Akkordwechsel (Wechselton mit Funktionswechsel, Bsp. 9.4.-1e und Bsp. 9.4.-2).
Wechseltöne dienen der melodischen Umspielung eines Akkordtons (Figuration).
2 Je nach Abstand zum Hauptton ist zu unterscheiden:
3 Nach der Lage des Wechseltons in Bezug zum Hauptton wird unterschieden in:
4 Zu unterscheiden sind ferner:
Welche Töne als diatonische oder chromatische Nebentöne gelten, hängt von der Tonleiter ab.
5 Sowohl oberer als auch unterer Wechselton können gekoppelt auftreten als:
Bsp. 9.4.-1: Beispiele für Wechseltöne
(a1) diatonisch abwärts – (a2) chromatisch abwärts – (b1) diatonisch aufwärts – (b2) chromatisch aufwärts
(c1) in zwei Stimmen – (c3) in drei Stimmen – (d) umspringende Wechseltöne – (e) umspielende Wechseltöne
6 Bei Wechseltönen gleichzeitig in mehreren Stimmen entstehen Akkorde, die harmonisch bedeutsam werden können (funktionsbildende Wechseltöne, Wechseltonakkord; Bsp. 9.4.-1c2).
Bsp. 9.4.-2: Wechseltöne mit Funktionswechsel
7 Wie die meisten akkordfremden Töne sind auch Wechseltöne wahrscheinlich aus der Verzierungspraxis entstanden.
Bsp. 9.4.-3: Wechseltöne entstanden aus
(a) Mordent – (b) Pralltriller
Andere Bezeichnungen: Nebennote, Hilfsnote, Melisma
Als Nebenton werden alle unbetonten akkordfremden Töne bezeichnet, die nicht Durchgang, Wechselton oder Vorausnahme sind.
1 Abspringende Nebentöne werden wie Wechseltöne schrittweise (diatonisch oder chromatisch) von einem akkordeigenen Ton ausgehend eingeführt. Die Weiterführung erfolgt sprungweise (meist in entgegengesetzter Richtung) zu einem akkordeigenen Ton des gleichen oder eines anderen Akkordes.
Bsp. 9.5.1.-1a1: diatonischer abspringender Nebenton mit Akkordwechsel
Bsp. 9.5.1.-1a2: chromatischer abspringender Nebenton mit Akkordwechsel
Bsp. 9.5.1.-1a3: diatonischer abspringender Nebenton ohne Akkordwechsel
Bsp. 9.5.1.-1a4: chromatischer abspringender Nebenton mit Akkordwechsel ohne Richtungswechsel
2 Bei abspringenden Nebentönen gleichzeitig in mehreren Stimmen entstehen Akkorde, die harmonisch bedeutsam werden können (funktionsbildende Nebentöne, Nebentonakkord; Bsp. 9.5.1.-1b).
Bsp. 9.5.1.-1: Beispiele für abspringende Nebentöne
(a1/3) diatonisch – (a2/4) chromatisch – (b) in zwei Stimmen
1 Angesprungene Nebentöne werden sprungweise von einem akkordeigenen Ton ausgehend erreicht. Die Weiterführung erfolgt schrittweise (meist in entgegengesetzter Richtung) zu einem akkordeigenen Ton des gleichen oder eines anderen Akkordes.
Bsp. 9.5.2.-1a1: diatonischer angesprungener Nebenton mit Akkordwechsel
Bsp. 9.5.2.-1a2: chromatischer angesprungener Nebenton mit Akkordwechsel
2 Bei angesprungenen Nebentönen gleichzeitig in mehreren Stimmen entstehen Akkorde, die harmonisch bedeutsam werden können (funktionsbildende Nebentöne, Nebentonakkord).
Bsp. 9.5.2.-1b: angesprungene Nebentöne diatonisch und chromatisch ohne Akkordwechsel in zwei Stimmen. Die unbetont stehenden Nebentöne verhaltne sich als (dominantische) Leittöne zu den schrittweise erreichten Haupttönen.
Bsp. 9.5.2.-1: Beispiele für angesprungene Nebentöne
(a) aufwärts diatonisch– (b) abwärts chromatisch – (c) in zwei Stimmen
Freie Nebentöne werden sprungweise von einem akkordeigenen Ton ausgehend erreicht und ebenfalls sprungweise zu einem akkordeigenen Ton des gleichen oder eines anderen Akkordes verlassen.
Bsp. 9.5.3.-1: Beispiele für freie Nebentöne
(a) diatonisch – (b) chromatisch
Andere Bezeichnungen: Antizipation, Vorwegnahme
1 Bei der Vorausnahme wird eine Stimme zu einem akkordfremden Ton geführt (meist schrittweise, selten im Sprung), der Bestandteil des folgenden Akkordes ist (Hauptton oder Vorhalt).
Vorausnahmen sind der Gegensatz zu Vorhalten:
bei Vorausnahme erklingt ein Ton des zweiten Akkordes bereits vor dessen Eintritt und ist im ersten Akkord unbetonte Nebennote; bei Vorhalt bleibt ein Ton des ersten Akkordes beim Wechsel zum zweiten Akkord liegen, und wird dort zur betonten Nebennote.
Bsp. 9.6.-1a1: diatonische Vorausnahme
Bsp. 9.6.-1a2: diatonische Vorausnahme in zwei Stimmen; meist als Vorausnahme-Quartsextakkord
Bsp. 9.6.-1b1/2: erst beim Akkordwechsel wird deutlich, ob es sich um eine Vorausnahme handelt. b1: chromatische Vorausnahme der D5<; b2: Alteration: T3 wird tiefalteriert und zur D5 geführt
Bsp. 9.6.-1c: angesprungene Vorausnahme
Bsp. 9.6.-1: Beispiele für Vorausnahmen
(a1) diatonisch – (a2) diatonisch in zwei Stimmen – (b1) chromatisch – (b2) Alteration (keine Vorausnahme!)
(c) angesprungene Vorausnahme
2 Wie die meisten akkordfremden Töne sind auch Vorausnahmen wahrscheinlich aus der Verzierungspraxis entstanden.
Bsp. 9.6.-2: Vorausnahme entstanden aus Nachschlag
Andere Bezeichnungen: liegende Stimme, Halteton, für Orgelpunkt: Pedalton
1 Wenn ein Ton in einer Stimme liegen bleibt, während in den übrigen Stimmen die Akkorde wechseln, muss berücksichtigt werden, ob der durchgehaltene Ton in den Akkorden akkordeigen oder akkordfremd ist.
2 Kommt der Ton in allen Akkorden vor, handelt es sich lediglich um ein harmonisches Band. Ist er abwechselnd akkordfremd und –eigen, handelt es sich um eine Liegestimme (im Bass: Orgelpunkt) im engeren Sinne. Der Ton der Liegestimme ist aus dem harmonischen Geschehen ausgekoppelt.
Orgelpunkte erstrecken sich häufig unter zahlreichen Akkordwechseln. In der Musik vornehmlich des Generalbasszeitalters war der D1 als Orgelpunkt kurz vor Schluss eines Stückes ein Signal für das baldige Ende. Auch der Schluss einer ausgedehnteren Komposition lässt sich durch einen T1-Orgelpunkt verlängern.
3 Es können auch mehrere Liegestimmen gleichzeitig vorkommen, allerdings nicht in allen Stimmen, da sonst kein Akkordwechsel mehr möglich wäre.
Bsp. 9.7.-1a: der Ton d im Tenor ist Bestandteil aller Akkorde, also harmonisches Band
Bsp. 9.7.-1b: der Ton c im Sopran ist akkordeigen im ersten und vierten Akkord, nicht aber im zweiten und dritten; es handelt sich also um eine Liegestimme
Bsp. 9.7.-1c: Orgelpunkt
Bsp. 9.7.-1d: zwei Liegestimmen (davon eine im Bass = Orgelpunkt)
Bsp. 9.7.-1: Liegestimme: (a) harmonisches Band – (b) Liegestimme Sopran
(c) Orgelpunkt – (d) zwei Liegestimmen
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