1 Dominanten sind Strebeklänge, die einer Weiterführung bedürfen (Auflösung). Das Streben nach Auflösung wird bedingt durch
Akkordform
Echte Dominanten können nur Dur-Dreiklänge sein, deren Terz sich als Leitton in einen Ton des Folgeakkordes auflöst. Moll-Dreiklängen fehlt zwar diese Leitton-Eigenschaft, sie können aber dennoch als unechte Dominanten funktionieren (Die Moll-Terz wirkt als Gleitton und strebt abwärts zu einem Ton des Folgeakkordes.).
Die Strebigkeit kann durch Modifikation der Dominante erhöht werden (Erweiterung um charakteristische Dissonanzen und Alterationen).
Verhältnis zum Folgeakkord
Die Auflösung erfolgt zum unteren quintverwandten Akkord (Quintfall, authentischer Ganzschluss).
Wird die Dominante zu Akkorden mit anderem Verwandtschaftsgrad geführt, entsteht ein Trugschluss.
Wenigstens eine der beiden Bedingungen muss erfüllt sein, um einem Akkord die dominantische Funktion zusprechen zu können.
2 Im harmonischen Kontext gibt es mehrere Arten von Dominanten:
Bsp. 7.1.-1: Dominante
Bsp. 7.1.-2: „Molldominante“
Die „Molldominante“ grundstellig vor der T oder t erinnert an modale Wendungen und wird oft bewusst als „archaische“ Kadenz eingesetzt. In diesem Fall ist die Bedingung der quintfälligen Auflösung gegeben und die Bezeichnung als Dominante gerechtfertigt (Bsp. 7.1.-2a). Die „Molldominante“ erscheint häufig mit Terzbass im Zusammenhang eines phrygischen Halbschlusses (Bsp. 7.1.-2b)
Zwischendominanten erscheinen meist in modifizierter Form, um sie als Dominanten auszuzeichnen (mit charakteristische Dissonanz und/oder Alteration). Als Dreiklänge können sie je nach Kontext auch als (entfernte) terzverwandte Akkorde gedeutet werden (Bsp. 7.1.-3: kleine Funktionssymbole). Auch die Dur-Tonika kann als Zwischendominante der Subdominante gedeutet werden (Bsp. 7.1.-3c).
Bsp. 7.1.-3: Zwischendominanten in Dur
Zwischendominanten in Moll sind (anders als in Dur) leitereigene Nebenfunktionen. Die quintfällige Auflösung weist sie als Zwischendominanten aus. Die verdurte Subdominante kann als Zwischendominante zur VII (dp) gedeutet werden (Bsp. 7.1.-4c). Der tG kann auch als Zwischendominante zum verselbständigten Neapolitaner funktionieren (Bsp. 7.1.-4e).
Bsp. 7.1.-4: Zwischendominanten in Moll
Bsp. 7.1.-5: Beispiele für rückbezügliche Dominanten
Bsp. 7.1.-6: Ellipse (trugschlüssige Auflösung einer Zwischendominante)
von besonderer Bedeutung ist die
Doppeldominante: Dominante der Dominante (Dur-Dreiklang auf der 2)
andere Bezeichnung: Wechseldominante
Funktionssymbol: 2.D oder zwei ineinander verschlungene D
primäres Auflösungsziel: Dominante
Die Doppeldominante kann erklärt werden als verdurte Subdominantparallele (SP, als solche funktioniert dieser Akkord im Lydischen). Sie kann sowohl Vertreterklang der Subdominante (diese also ersetzen), als auch deren Nachfolger sein. Die Nähe zur Subdominante erweist sich in der häufigen Wendung S 2.D D (Bsp. 7.1.-7b).
Bsp. 7.1.-7: Doppeldominante
Dominanten höherer Grade sind jeweils Dominanten von bereits höhergradigen Dominanten (also wenigstens [Zwischen-]Doppeldominanten) und funktionieren als solche nur, wenn sie sich in die tiefergradige Dominante auflösen.
Funktionssymbol: 3.D (oder drei ineinander verschlungene D, dritte Dominante Dominante der Doppeldominante), 4.D (vierte Dominante Dominante der dritten Dominante), etc.
Dominanten höherer Grade werden häufig als Dominantkette (im Sinne einer realen Quintfallsequenz) eingesetzt. Meist erscheinen sie als Septakkorde deren Leitton „verführt“ wird (also entgegen der Streberichtung) (Bsp. 7.1.-8).
Bsp. 7.1.-8: Dominanten höherer Grade als Dominantkette
Pseudodominanten: alle Akkorde, die ihrer Akkordform nach nicht echte Dominanten sind, denen jedoch der untere quintverwandte Akkord folgt
unechte Dominante
andere Bezeichnung: Stellungsdominante
Akkordform: beliebiger (meist) Septakkord (aber nicht Dur)
primäres Auflösungsziel: unterer quintverwandter Akkord
Funktionssymbol: (pD)
das Funktionssymbol der Pseudodominanten ist immer in Klammer zu setzen, außer wenn es für die „Molldominante“ verwendet wird (Bsp. 7.1.9b). Der folgende Bezugsklang kann als Stufenbezeichnung notiert werden, wenn dessen Funktion uneindeutig ist.
Pseudodominanten höherer Grade verketten sich zu tonalen Quintfallsequenzen (Bsp. 7.1.-9c; die unten stehenden Funktionssymbole geben nicht das tatsächliche Geschehen wider: quintfällige Auflösungen; lediglich Sp7 kann als Vorgänger der D so interpretiert werden.)
Bsp. 7.1.-9: Pseudodominanten
Bsp. 7.1.-10: Tritonusvertreter der (a) Dominante – (b) Doppeldominante
Unter Dominanten sind im Folgenden echte Dominanten zu verstehen.
3 Die Dominante hat eine Grundform: leitereigen in Dur wie in Moll (harmonisch) ein Dur-Dreiklang.
4 Dominanten können verändert werden durch:
Absicht dieser Modifikationen ist es, einerseits den Dissonanzgehalt zu erhöhen, andererseits größere Strebigkeit und damit eine zwingendere Weiterführung (Auflösung) zu bewirken.
5 Das entscheidende Merkmal der Dominantfunktion ist die große Terz, die als natürlicher Leitton zum Grundton des eine Quinte tiefer stehenden Akkordes wirkt, sowie die Möglichkeit des Verkürzens, ohne dass die Funktion beeinträchtigt wird.
Akkorde mit kleiner Terz über dem (imaginären) Grundton können als Pseudodominanten funktionieren oder es handelt sich um die 3– einer echten Dominante, die in die 6 des Zielakkordes geführt wird. Auflösungen der Dominante in eine mit großer Sexte erweiterten Tonika finden sich häufig in der Popularmusik. Die D3 kann tiefalteriert werden und führt dann als künstlicher Gleitton zur T6. Die tiefalterierte D3 tritt sehr häufig mit der D3 gleichzeitig auf (Koalteration), wobei nicht eindeutig ist, ob es sich bei diesem Ton um die 3– oder die 9< handelt. Bei Auflösung dieses Tons in die hinzugefügte große Septime der Tonika handelt es sich um die 9< (eine Wendung, die ebenfalls in der Popularmusik anzutreffen ist).
Erweitert wird die Dominante durch Hinzufügen weiterer Töne. Dadurch entstehen Vier-, Fünf-, Sechs- und Siebenklänge.
Typischerweise wird die Dominante zunächst mit der kleinen Septime über dem Grundton zu einem Vierklang erweitert. Dieser Akkord heißt Dominantseptakkord (D7). (zu den Umstellungen → 2.4.2.)
Das Hinzufügen eines weiteren Tones im Abstand einer (meist leitereigenen) Terz über dem höchsten Ton eines (grundstelligen) Akkordes heißt Überterzen.
Durch Hinzufügen einer kleinen Septime (d.h. über die Quinte wird im Abstand einer kleinen Terz ein vierter Ton gesetzt) kann jeder Dur-Dreiklang zu einer Dominante umfunktioniert werden. Die kleine Septime ist also (eine) charakteristische Dissonanz der Dominante.
Auflösung des Dominantseptakkordes (D7) in die Tonika:
Die Terz des D7 (= natürlicher Leitton) zielt auf den T1 und löst sich regulär nach oben in diesen auf (D3↑T1).
Die Septime des D7 (= natürlicher Gleitton) zielt auf die T3 und löst sich regulär nach unten in diesen auf (D7↓T3).
Die Quinte des D7 (= „neutraler“ Ruheton) kann sowohl auf- als auch abwärts geführt werden (D5↓T1 oder D5↑T3).
Der Grundton des D7 im Bass (Ruheton) springt zum Grundton der Tonika. Befindet er sich hingegen in einer der Oberstimmen (bei Umstellungen oder unvollständigem D7), bleibt er in der gleichen Stimme liegen (B: D1⇓T1; O: D1–T5).
Ein vollständiger grundstelliger D7 löst sich regulär in eine unvollständige T auf, ein unvollständiger grundstelliger D7 hingegen in eine vollständige T. Umstellungen des vollständigen D7 lösen sich regulär in eine vollständige T auf.
Bsp. 7.2.1.-1: reguläre Auflösung des D7
(a) mit vollständigem - (b) mit unvollständigem D7
Wenn Leitton oder Septime in den Mittelstimmen auftreten, gilt folgende Ausnahme-Regel:
Damit bei der Auflösung ein vollständiger Tonika-Dreiklang erscheint,
kann der Leitton statt der regulären Auflösung (nach oben in den Grundton), irregulär in die T5 springen (abspringender Leitton). (D3⇓(i)T5)kann die Septime statt der regulären Auflösung (nach unten in die T3), irregulär nach oben in die T5 geführt werden, wenn die T3 von einer anderen Stimme erreicht wird. (D7↑(i)T5)
Bsp. 7.2.1.-2: irreguläre Auflösung des D7:
(a) abspringender Leitton - (b) Aufwärtsführung der Septime
1 Durch Überterzen des Dominantseptakkordes entsteht als Fünfklang der Dominantnonakkord (D9).
In Dur ist die None groß (großer Dominantnonakkord, akustischer Dominantnonakkord [die große None ist Bestandteil der Partialtonreihe als 9. Partialton], Symbol: D9+; Bsp. 7.2.2.-1a), in Moll dagegen klein (kleiner Dominantnonakkord, Symbol: D9-; Bsp. 6-3b). Die None ist die zweite charakteristische Dissonanz der Dominante. Wegen der Durchdringung von Dur und Moll, kommt der D9- auch in Dur vor; der D9+ in Moll seltener. Die Septime ist im Nonakkord unverzichtbarer Bestandteil. Ein Auftreten der None ohne Septime ist aber ebenfalls möglich (meist ist die None dann Vorhalt, „reiner Nonakkord“).
Das Symbol D9 meint den Dominantnonakkord schlechthin, bzw. den großen Dominantnonakkord. Ist eine der beiden Formen im besonderen gemeint, muss für den große None „+“ und für die kleine None „–“ zur 9 gesetzt werden.
Entstanden ist der Dominantnonakkord durch einen Nonvorhalt (vor der Oktave = Grundton) (Bsp. 7.2.2.-1c). Später hat dieser sich verselbständigt, indem er nicht mehr aufgelöst wurde (erstarrter Vorhalt).
Bsp. 7.2.2.-1: (a) großer Dominantnonakkord - (b) kleiner Dominantnonakkord - (c) Nonvorhalt
2 Im vierstimmigen Satz kann ein Fünfklang nicht vollständig dargestellt werden. Es muss auf einen Ton verzichtet werden. Dazu kommt nur die Quinte als „neutraler“ nicht auflösungsbedürftiger und den Dissonanzgehalt des Akkordes nicht beeinflussender Ton in Frage. In der Regel erscheint der D9 im vierstimmigen Satz also unvollständig.
Wenn der Grundton weggelassen wird, erscheint der D9 verkürzt (→ 7.3.2.). Auf Terz (Leitton), Septime und None (charakteristische Dissonanzen), kann nicht verzichtet werden.
Auflösung des Dominantnonakkordes in die Tonika:
Die Terz des D9 (= natürlicher Leitton, D3) zielt auf den T1 und löst sich regulär nach oben in diesen auf. (D3↑T1)
Die Septime des D9 (= natürlicher Gleitton, D7) zielt auf die T3 und löst sich regulär nach unten in diese auf. (D7↓T3)
Die None des D9 (= natürlicher Gleitton, D9) zielt auf die T5 und löst sich regulär nach unten in diese auf. (D9↓T5)
Der Grundton des D9 im Bass (Ruheton) springt zum T1. Befindet sich der D1 in einer der Oberstimmen (bei Umstellungen oder unvollständigem D7), bleibt er in der gleichen Stimme liegen. (B: D1⇓T1; O: D1–T5)
Bsp. 7.2.2.-2: Dominantnonakkord unvollständig mit Auflösung
(a) Nonlage - (b) Septlage - (c) Terzlage
Wenn die Quinte im D9 vorhanden ist (bei vollständigem oder verkürztem D9), wird sie aufwärts zur T3 geführt (um Quintenparallelen zu vermeiden). Bei Abwärtsführung zum T1 ergibt sich beim D9- eine ||vr, die toleriert wird; beim D9+ entstehen in diesem Fall „Scarlatti-Quinten“.
Bsp. 7.2.2.-3: Dominantnonakkord vollständig (fünfstimmig) mit Auflösung
(a) Terzlage - (b) Quintlage - (c) Septlage - (d) Nonlage
3 Der D9 kann in 4 Umstellungen erscheinen:
1. Umstellung: Terz im Bass, Terzbass
Die Auflösung führt zum grundstelligen T mit 2x5.
Bsp.7.2.2.-4: 1. Umstellung des unvollständigen D9 mit Auflösung
(a) Nonlage - (b) Septlage - (c) Oktavlage
2. Umstellung: Quinte im Bass, Quintbass (nur bei vollständigem [fünfstimmigem] D9)
Wenn die Quinte im Bass zum T1 schreitet, wird die None irregulär aufwärts zum T1 springen gelassen. Dies verursacht v8 mit der Stimme, die die D3 zum T1 auflöst. Eine v1 sollte vermieden werden (sie entsteht, wenn D9 und D3 des D9 in benachbarten Stimmen liegen). Die T erscheint mit 3x1.
Bsp. 7.2.2.-5: 2. Umstellung des D9 (nur vollständig möglich) mit Auflösung
(a) Oktavlage - (b) Terzlage - (c) Septlage - (d) Nonlage
Die D5 kann als Ton ohne Strebetendenz auch aufwärts zur T3 geführt werden. In diesem Fall wird die D9 regulär abwärts zur T5 geführt. Die T erscheint dann mit 2x3 und 2x5.
Bsp. 7.2.2.-6: 2. Umstellung des D9 - Alternative Weiterführung der D9-Quinte zur T-Terz
(a) Oktavlage - (b) Terzlage - (c) Septlage - (d) Nonlage
3. Umstellung: Septime im Bass, Septbass
Die Auflösung führt zur T mit Terzbass und 2x5.
Bsp. 7.2.2.-7: 3. Umstellung des D9 mit Auflösung
(a) Nonlage - (b) Terzlage - (c) Oktavlage
4. Umstellung: None im Bass, Nonbass
Die Auflösung führt zur T mit Quintbass und Quinte in einer der Oberstimmen.
Bsp. 7.2.2-8: 4. Umstellung des D9 mit Auflösung
(a) Terzlage - (b) Septlage - (c) Oktavlage
Ein Grund, warum die 4. Umstellung früher für unmöglich gehalten wurde, ist der, dass die T mit Quintbass selbst dominantische Funktion hat (kadenzierender Quartsextakkord). Eigentlich würde also gar keine Auflösung stattfinden. In der Tat kann der D9 mit Nonbass aber mit der T fortgesetzt werden. Welche Bedeutung diese Form der T hat, ergibt der Zusammenhang (z.B. als Verlängerung der D [Bsp. 7.2.2.-9a] oder als besondere Form eines Durchgangsquartsextakkordes [Bsp. 7.2.2.-9b]). Selbst eine Wendung zur grundstelligen T ist denkbar (Bsp. 7.2.2.-9c).
Im Allgemeinen ist die Wirkung des D9 günstiger, wenn die D9 über dem D1 erklingt. Dies ist ein weiterer Grund für die Ablehnung der None im Bass: dort ist sie nämlich nicht mehr None, sondern der Grundton ist Sekunde über der None (in der Denkweise des Generalbass).
Bsp. 7.2.2.-9: mögliche Weiterführung des D9 mit Nonbass in kadenziellem Umfeld
Ein Überterzen des D9(–) mit der reinen Undezime über dem D1 zum Dominantundezimakkord (D11 bzw. D119–) ist möglich, aber nicht unproblematisch.
Da D11 derselbe Ton wie T1 ist (also der Grundton des Klanges, in den sich die Dominante auflösen soll) und gleichzeitig die Oktavversetzung der Quarte über D1, wirkt sie als unaufgelöster Quartvorhalt, der gleichzeitig mit seinem Auflösungston (D3) erklingt. Das allerdings wird bei Quartvorhalten vermieden.
Bsp. 7.2.3.-1: Hinzugefügte Undezime
(a) rein - (b) hochalteriert
Eine andere Interpretation der D11 ist die harte Antizipation. Der Auflösungston der D3 (T1 = D11) tritt bereits mit der D auf (relativ betont). Bei der regulären Antizipation geschieht dies relativ unbetont. Diese Wendung ist in der Popularmusik häufig zu beobachten (dann allerdings fast immer ohne D3).
Bsp. 7.2.3.-2: Undezimakkord in einer II-V-I-Kadenz
Zur reinen Klangverschärfung kann die Undezime hinzugefügt werden, häufig auch hochalteriert (D11<), was klanglich der tiefalterierten Quinte (D5>) entspricht, die dann gleichzeitig mit der reinen Quinte erklingt (Koalteration, Bsp. 7.2.3.-1b). Ob es sich bei dem fraglichen Ton um D11< oder D5> handelt, entscheidet der harmonische Kontext:
Erfolgt die Auflösung in den T1, handelt es sich um D5> (Bsp. 7.2.3.-3a).
Bei Auflösung im Halbtonschritt aufwärts, handelt es sich entweder um eine D11<, die sich zur T9 auflöst (Bsp. 7.2.3.-3b; die D9 wird irregulär aufwärts zur T7+ geführt), oder eine 2.D11<, die zur charakteristischen Dissonanz D9 geführt wird (Bsp. 7.2.3.-3c).
In der Popularmusik wird häufig die T mit großer Sexte, großer Septime und/oder großer None erweitert ohne dass deren Verständlichkeit als T gefährdet ist.
Bsp. 7.2.3.-3: großer Dominantnonakkorde mit (a) tiefalterierter Quinte
(b,c) hochalterierter Undezime ohne Quinte
Terzlose Dominantundezimakkorde lassen sich als Mischfunktionen deuten, indem D5, D7, D9 und D11 in den Oberstimmen als Töne der Subdominante oder Doppeldominante verstanden werden, die zum Dominantgrundton im Bass erklingen. Die D5< wird zur 2.D9– enharmonisch verwechselt.
Bsp. 7.2.3.-4: Beispiele für Dominantundezimakkorde als Mischfunktionen
Das letzte mögliche Überterzen führt zum Dominanttredezimakkord (D13). Die Tredezime über dem D1 ist leitereigen in Dur groß (D13) und in Moll klein (D13–).
In Dur ist die Tredezime groß (großer Dominanttredezimakkord, Symbol: D13; Bsp. 7.2.4.-1a1), in Moll dagegen klein (kleiner Dominanttredezimakkord, Symbol: D13–; Bsp. 7.2.4.-1b2). Wegen der Durchdringung von Dur und Moll, kommt der D13– auch in Dur vor; der D13+ in Moll seltener. Die None kann bei beiden Formen groß oder klein sein, wobei die kleine None im Funktionssymbol auftauchen muss (Bsp. 7.2.4.-1a2/b2).
Das Symbol D13 meint den Dominanttredezimakkord schlechthin, bzw. den großen Dominanttredezimakkord. Ist eine der beiden Formen im besonderen gemeint, muss für den große Tredezime „+“ und für die kleine Tredezime „–“ zur 13 gesetzt werden.
Entstanden ist der Dominanttredezimakkord durch einen Sextvorhalt vor der Quinte (Bsp. 7.2.4.-1c). Später hat dieser sich verselbständigt, indem er nicht mehr aufgelöst wurde. Die Tredezime ist die Oktavversetzung der Sexte.
Bsp. 7.2.4.-1: (a) großer Dominanttredezimakkord
(b) kleiner Dominanttredezimakkord - (c) Sextvorhalt
Bei der Auflösung des D13 bleibt die D13, die meist in die oberste Stimme gesetzt wird, liegen (D13 = T3) oder springt zum T1.
Bsp. 7.2.4.-2: Auflösung eines Dominanttredezimakkordes
Bsp. 7.2.4.-3: Gustav Mahler, 2. Sinfonie (1. Satz, Ziffer 20). Die Dominante, die den folgenden Formabschnitt (c-Moll) vorbereitet, wird durch Änderungen einzelner Töne gesteigert. Die Passage ist orgelpunktartig gestaltet: über dem Dominantgrundton erklingen nacheinander drei Akkorde.
(a) über D1 erklingt die 2.D (→ Bsp. 7.2.3.-4)
(b) ist ein kleiner Dominanttredezimakkord (vollständig mit Undezime; → Bsp. 7.2.4.-1b2)
(c) die Undezime aus Klang (b) erweist sich als Quartvorhalt, der zur Terz aufgelöst wird.
Bsp. 7.2.4.-3: Dominanttredezimakkorde bei Gustav Mahler
Bsp. 7.2.4.-4: Anton Bruckner, 7. Sinfonie (1. Satz, T.119ff). Über vier Takte, die den folgenden Formabschnitt (h-Moll) vorbereitet, wird eine erweiterte Dominante nach und nach verwandelt.
(a) zu Beginn steht ein großer Dominanttredezimakkord (ohne Undezime; → Bsp. 7.2.4.-1a1)
(b) die große Tredezime wird zur kleinen Tredezime
(c) die große None wird zur kleinen None
(d) die Undezime stellt sich als Quartvorhalt heraus und wird zur Terz aufgelöst, dafür entfällt die Quinte
(e) die kleine Tredezime ist nun kleine Sexte, die zur Quinte aufgelöst wird, der Grund für das vorherige Fehlen der Quinte
Obwohl zu Beginn ein Sechsklang (D13) und am Ende ein Vierklang (D7) steht, wirkt die Folge als Klimax. Der Grund ist, neben der Instrumentation und rhythmischen Gestaltung, die sukzessive halbtönige Klangverwandlung.
Bsp. 7.2.4.-4: Dominanttredezimakkorde bei Bruckner
1 Von einem Dominanttredezimakkord kann nur die Rede sein, wenn gleichzeitig D7 und D9 vorhanden sind. D11 fehlt hingegen fast immer.
2 Fehlt die None, handelt es sich um einen D7 mit hinzugefügter Sexte (D6(–)7, Bsp. 7.2.4.1.-1).
Diese Form der Dominante wird auch „Chopin-Akkord“ genannt.
Bsp. 7.2.4.1.-1: Dominantseptakkord mit hinzugefügter Sexte
3 In der vierstimmigen Darstellung erscheint der D67 unvollständig. Umstellungen sind möglich. Am günstigsten klingt D6 über D7 mit dazwischen liegender D3.
In der Grundstellung kann D7 in einer Mittelstimme irregulär zur T5 geführt werden. Dann ergibt sich eine vollständige T. In Septlage muss D7 regulär abwärts geführt werden. Dabei erscheint die T mit 2x3.
Bsp. 7.2.4.1.-2: Dominantseptakkord mit hinzugefügter Sexte in Grundstellung mit Auflösung
(a) Tredezimlage - (b) Terzlage - (c) Septlage
Bei der 1. Umstellung (Terzbass) bleiben D1 und D6 liegen.
Bsp. 7.2.4.1.-3: 1. Umstellung des Dominantseptakkord mit hinzugefügter Sexte mit Auflösung
(a) Tredezimlage - (b) Septlage - (c) Oktavlage
Der 3. Umstellung (Septbass) folgt T mit Terzbass. D1 und D6 bleiben liegen.
Bsp. 7.2.4.1.-4: 3. Umstellung des Dominantseptakkord mit hinzugefügter Sexte mit Auflösung
(a) Terzlage - (b) Oktavlage - (c) Tredezimlage
Bei der 6. Umstellung (Tredezimbass) bleibt D6 entweder liegen oder springt zum T1. D5 bleibt liegen.
Bsp. 7.2.4.1.-5: 6. Unkehrung des Dominantseptakkord mit hinzugefügter Sexte mit Auflösung
(a) Terzlage - (b) Oktavlage - (c) Septlage
2, 4. und 5. Umstellung sind nicht möglich, da D5, D9 und D11 im vierstimmigen D67 fehlen.
Fehlt auch die Septime, dann vertritt die Sexte die Quinte. Es entsteht ein D6(–) (dominantischer Sextakkord).
Beide Formen (mit großer und kleiner Sexte) sind leitereigene Dreiklänge:
D6 (großer dominantischer Sextakkord) ist III in Dur. Grundstellig funktioniert dieser Akkord als Dp (oder Tg). Mit Terzbass setzt sich die dominantische Funktion durch, so dass er als Dominante mit Sexte statt Quinte zu interpretieren ist, wenn die T folgt.
D6– (kleiner dominantischer Sextakkord) ist III im harmonischen Moll und funktioniert als übermäßiger Dreiklang immer dominantisch.
Bsp. 7.2.4.2.-1: dominantische Sextakkorde
Die dominantischen Sextakkorde erscheinen meist in Sextlage. Bei der Auflösung springen entweder alle Oberstimmen abwärts (Bsp. 7.2.4.2.-2a; eine bei Franz Schubert häufige Wendung) oder D1 und D6 bleiben liegen (Bsp. 7.2.4.2.-2b; diese Auflösung wirkt wegen der geringeren Stimmbewegung schwächer). Der Oktavlage der dominantischen Sextakkorde folgt häufig mit schrittweiser Bewegung in den Oberstimmen der D7. Die D6 ist in diesem Fall ein echter Sextvorhalt, die D7 erscheint als durchgehende Septime.
Bsp. 7.2.4.2.-2: Auflösung dominantischer Sextakkorde
Umstellungen sind unüblich. Um die dominantische Funktion zu verstärken wird der D1 verdoppelt.
Bsp. 7.2.4.2.-3a1: D6 mit Terzbass ergibt einen Moll-Quartsextakkord. Alle Oberstimmen bleiben bei der Auflösung liegen. Diese Wendung führt die Bezeichnung Riemanns für den Tg als „Leittonwechselklang“ vor Augen.
Bsp. 7.2.4.2.-3a2: D6 mit Sextbass ist ein grundstelliger Moll-Dreiklang, dessen Grundton sich durchsetzt, trotz 2x3. Durch die Position vor der T ist er als Dp interpretierbar.
Bsp. 7.2.4.2.-3b1/2: D6– mit Terzbass oder Sextbass ist als Dominante verständlich.
Bsp. 7.2.4.2.-3: Umstellungen der dominantischen Sextakkorde
© 2005 Everard Sigal